Warum ausgerechnet nach Albanien?
Dis Gesichtsausdrücke des Gegenübers verfallen …
Aber, für Motorradfahrer klingt die Beschreibung der Geografie schon mal sehr anziehend. Der kleine Staat auf der Balkanhalbinsel ist gerade mal 28.000 km² groß und hat grad mal 2,8 Mio. Einwohner und es besteht Großteils aus Bergen SChluchten und Urwäldern.
Halbkreisförmig ragen im Norden, Osten und Süden steile Gebirge auf, die zum Landesinneren hin in sanfte Hügel übergehen, um sich im Süd-Westen, im albanischem Epirus, in Form von steilen Küstengebirgen in das adriatische Meer zu stürzen.
Wegen des Zustands der Straßen tun sich viele Fragezeichen auf. Im Vorfeld haben wir stundenlang in Foren gestöbert und Informationen über den Ausbauzustand einzelner Abschnitte gesammelt. Schlaglochstraßen ohne Wegweiser und chaotisches Verkehrsgetümmel in den Städten erwarten uns.
Trotz bester Vorbereitung werden wir aber trotzdem noch massig Überraschungen erleben, das ist sicher. Da wir zu zweit mit Gepäck auf einem Motorrad unterwegs sind, haben wir uns schweren Herzens vorgenommen, Schotterpisten so gut es geht zu meiden. Zumindest, wenn es um Dutzende von Kilometern geht. Einzelne Abschnitte werden wir wohl nicht immer verhindern können, noch dazu, da wir auch die nordalbanischen Alpen besuchen wollen.
Wie wir später sehen, ist die Verkehrsdichte in manchen Gebieten so gering und der nächste größere Ort so weit entfernt, dass wir uns der Gefahr nicht aussetzen wollen, stundenlang auf Hilfe jedweder Form warten zu müssen.
Trotz dieses Entschlusses hatten wir – im Nachhinein betrachtet – mehr als genug einsame Momente und auch viele Offroadpassagen, denen man sich in Albanien einfach nicht entziehen kann. Aber eben keine, bei denen von vornherein eine Länge von fünfzig Kilometer oder mehr absehbar ist. Wer gute Straßen will, muss die Autobahn wählen. Aber auch dort gibt es genug Überraschungen …
Unser Fazit mit zwei Worten: Gerne wieder!
Albanien ist ein Land der Überraschungen. Man weiß nie, was auf einen zukommt und das macht das Ganze so spannend. Unsere drei Wochen waren nie langweilig, selbst als wir mal 90 km auf der Autobahn fuhren – was der normale Motorradfahrer ja stocklangweilig empfindet – hatten wir Kurzweil, weil wir uns die Autobahn mit Ziegen, Menschen und Imbißbuden teilten. Und nur wenigen Autos.
Und so geht es immer weiter: nichts funktioniert 100%ig und alles ist irgendwie improvisiert. Es kann Sprit geben, muss aber nicht. Es kann am Automaten Bargeld geben, muss aber nicht. Und es kann Strom geben, muss aber nicht. Es gibt es ein Müllproblem, viel Armut, aber nie Langeweile.
Das I-Tüpfelchen sind die Menschen. Sehr liebe und freundliche Menschen, die sehr aufgeschlossen auf den Reisenden zugehen. Sie sind gastfreundlich und sehr hilfsbereit, ohne am Ende die Hand aufzuhalten. Moslems und Christen leben einträchtig neben- und miteinander, selbst gemischt-konfessionelle Ehen sind kein Aufreger. Albanien ist ein sehr armes Land mit sehr viel Potential ein beliebtes Reiseziel zu werden. Die Menschen tragen einen großen Anteil daran, dass man sich sofort wohl fühlt. Wohlfühlen muss. Eine absolut geniale Tour – Langeweile geht anders.
Das Balkanland wartet mit einem Mix aus Kultstätten, Naturerlebnis und Gastfreundschaft auf seine Entdecker.
Mit den ersten Zeichen der Dämmerung verwandeln sich die gepflasterten Straßen und stillen Plätze der kleinen Stadt Gjirokastra in eine orientalische Märchenwelt, die es auf wundersame Weise in diesen abgelegenen Winkel Europas versschlagen hat. Unterhalb der Festung, in der als Helden verehrte Albaner ihr Land, einmal mehr vergeblich, gegen anstürmende Osmanen verteidigt haben, sitzen Männer, die den Lebensstil der Eroberer inhaliert haben, vor den Cafés. Rauchen, Kaffee trinken, Geschichten erzählen – so weicht auch dieser sonst ereignislose Tag einer langen Nacht. Dem Balkan sagt man ja schwere Gedanken und tiefe Konflikte nach. Doch wer vom Seshi i Çerçizit, dem Hauptplatz Gjirokastras, mit seinem bequemen, sauberen und freundlichen Hotel Çajupi hinauf zur Moschee geht, vorbei an dem Bus mit der Reisegruppe aus Österreich, verspürt nur Leichtigkeit. Willkommen in dieser wunderbaren Stadt der weißen Häuser und unzähligen Fenster, die seit 2005 zum Weltkulturerbe der UNESCO zählt.
Die Lebensfreude ist umso erstaunlicher, als die Verheerungen, die Schicksal und Geschichte Albanien angetan haben, auch hier präsent sind. Das Ethnografische Museum, dem Lebensstil im 19. Jahrhundert gewidmet, ist im Geburtshaus Enver Hoxhas. Das war jener Mann, der in Albanien nach dem Zweiten Weltkrieg ein stalinistisches Regime errichtete, das – später unter enger Bindung an die Volksrepublik China – bis 1991 durchhielt. Ein Viertel des Budgets floss ins Militär, zur Abwehr einer westlichen Invasion wurden 700.000 Bunker errichtet. Die Bevölkerung verarmte, wer nicht parierte, landete in einem Folterkeller oder verschwand einfach.
Albanien, das war für Jahrzehnte das Land, von dem die Europäer vergessen hatten, dass es zu Europa gehörte. Von den rund zehn Millionen, die zur albanischen Ethnie gezählt werden, leben heute sieben Millionen im Ausland – vom Kosovo bis nach Detroit.
Diese schwere Bürde prägt bis heute die mitteleuropäische Vorstellung vom Land der Skipetaren, was “Söhne des Adlers” bedeutet. Shqipëria – so heißt Albanien offiziell in der eigenständigen, indogermanischen Sprache – wurde in der Außensicht zum Symbol für Armut, Korruption und Rückständigkeit am Balkan.
Als Reiseland jedoch, und darum geht es hier, setzen Albanien und die Albaner diesen in unsere Hirne eingebrannten Vorstellungen überraschende Tatsachen entgegen.
Mit den historischen Zentren von Gjirokastra und Berat, ebenfalls ein beeindruckendes Ensemble türkisch-albanischer Kultur, den antiken Ruinen von Butrint und der bronzezeitlichen Höhenfestung Kalivo besitzt Albanien mehrere von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärte Stätten. Weitere haben Kandidaten-Status: Etwa das Amphitheater im Zentrum der mediterranen Hafenstadt Durrës, die Ruinen der von Siedlern aus Korinth gegründeten Stadt Apollonia und die Königsgräber von Selca e Poshtmë, die auf die Illyrer, die antiken Vorfahren der Albaner, zurückgehen.
Auch eine Überraschung: die Gastfreundlichkeit. Obwohl die Zahl der Touristen seit einigen Jahren stetig zunimmt, sind vor allem Reisende aus Mittel- und Westeuropa noch Exoten, die entsprechend bestaunt und verhätschelt werden. Viele Albaner sprechen auch einige Worte Deutsch, die junge Generation beherrscht fast durchwegs das Englische.
Albanien kann auch als recht sicheres Reiseland bezeichnet werden. Zwar existiert wie in anderen Balkanländern eine gewisse Kleinkriminalität, Anschläge oder religiös motivierte politische Konflikte sind jedoch völlig unbekannt. Gewöhnungsbedürftig sind freilich der viele Müll, der für unsere Begriffe etwas übertrieben zelebrierte Nationalstolz und die zahlreichen Bauruinen.
Ein Land der Berge und Strände – auch das ist das Reich der Skipetaren. Die Küstenstraße entlang der “Albanischen Riviera” zwischen Vlora und Saranda im Süden kann mit ähnlich spektakulären Routen wie dem Highway 1 in Kalifornien mithalten. Saranda selbst ist außerhalb der Hochsaison im Juli und August ein angenehmer Badeort mit feinen Hotels, sauberem Kiesstrand und einer schönen Promenade. Die Preise sind für österreichische Geldbörsen geradezu lächerlich niedrig. Für einige wenige Euro bekommt man in einem der zahlreichen Restaurants etwa “Shisqebap” (Fleischspieße) oder “Mish deli” (Schaf), das Bier (“Korça”, “Tirana”) gibt’s um einen einzigen Euro. Zu Recht gerühmt werden die zahlreichen Süßspeisen, zum Beispiel Crème Caramel.
All das hat dazu geführt, dass mehr und mehr Individualreisende ins Land strömen, auch Gruppenreisen werden verstärkt angeboten. Was uns besonders gut gefallen hat? Natürlich die Spaziergänge und Erkundungstouren durch die historischen Innenstädte von Gjirokastra, Berat und in der alten Bergfestung Kruja nahe Tirana. Eine Überraschung sind allerdings auch die gut ausgestatteten Museen. Allen voran das Nationalmuseum in Tirana, das in monumentaler Form die Geschichte und Kultur Albaniens als enges Zusammenspiel von Triumphen und Tragödien inszeniert. Oder das noch in kommunistischer Zeit errichtete Skanderbeg-Museum in Kruja, das das Schicksal des albanischen Freiheitshelden im Kampf gegen die Osmanen als heroisches Scheitern inszeniert, das den Nationalstolz befeuern soll. Oder das Ikonen-Museum inmitten der Bergfestung von Berat, wo einzigartige Schätze der orthodoxen Christenheit, geschaffen in osmanischer Zeit, präsentiert werden.
Ein faszinierender Mix von altkommunistischer Architektur, globalisierter Wirtschaftsszene und quicklebendiger Jugendkultur wartet in der Hauptstadt Tirana – auch das hat gut gefallen. Die beste Aussicht auf die moderne, brodelnde Stadt vor der Kulisse der Bergriesen des Mali-i-Dajtit-Nationalparks hat man vom obersten Stockwerk des Sky Tower in der Ibrahim-Rugova-Straße.
Interessante Stunden bescheren schließlich Rundgänge durch die antiken Stätten Albaniens. Butrint ganz im Süden wurde der Legende nach von Trojanern gegründet, war zu römischer Zeit wichtiger Knotenpunkt auf dem Weg nach Griechenland. Aus dieser schönen Gegend zog einst König Pyhrrus nach Italien, um einen teuren Krieg zu führen. Hier feierte er so lange Triumphe, bis er bekennen musste: Noch so ein Sieg und wir sind verloren. Jenseits der Bucht hatte der römische Dichter und Senator Cicero eine Villa. Von der Terrasse des Museums geht der Blick zur griechischen Insel Korfu. Die Reisenden aus vielen Ländern, die sich hier versammelt haben, sind in entspannter Stimmung: Unbekannte Schätze Albaniens warten, sie müssen noch gehoben werden.
Zusammenfassend war die Reise sehr informativ. Jetzt wissen wir wieder, wie schön es bei uns ist. Das Müllproblem ist riesengroß, Naturschutz ein Fremdwort, die Lebensbedingungen ausbaufähig, die Kriegsländer wieder aufgebaut, Albanien das nächste Urlaubsland.